Das Verfahren gegen weitere sieben Angeklagte, darunter gegen den prominenten
Journalisten Can Dündar, der seit 2016 in Deutschland arbeitet, wurde zunächst abgetrennt.
Die Staatsanwaltschaft Istanbul beantragte jedoch in den Abendstunden erneut die
Festnahme von Osman Kavala, mit der Begründung, sie würde gegen den Freispruch
Beschwerde einlegen und der Beschuldigte bis zur Entscheidung darüber in
Untersuchungshaft bleiben müsse. Die Beschwerde richtet sich auch gegen den Freispruch
von acht weiteren Mitangeklagten, die auf freiem Fuß sind.
Nach seiner "Entlassung" aus dem Hochsicherheitstraktat in Silivri wurde Kavala nach
Informationen seiner Anwälte zunächst zum Polizeipräsidium in Istanbul gebracht, wo er
erneut festgenommen wurde. In den nächsten fünf Tagen muss ein Untersuchungsrichter
über den Antrag der Staatsanwaltschaft entscheiden, ob er weiter in Haft bleiben muss.
Der Schriftsteller Ahmet Altan war knapp eine Woche nach seiner Freilassung erneut
inhaftiert worden. Im Falle von Selahattin Demirtas wurde der Freispruch in einem
Verfahren nicht berücksichtigt; er bleibt aufgrund weiterer Verfahren weiter in Haft.
Amnesty International Deutschland, die Akademie der Künste, der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union dju in ver.di, das KulturForum TürkeiDeutschland, das PEN-Zentrum Deutschland und
Reporter ohne Grenzen Deutschland hatten bereits mehrfach die Freilassung von Osman
Kavala gefordert und auch an die Bundesregierung appelliert, sich bei bilateralen
Verhandlungen dafür einzusetzen. "Das ist jemand, der sein Privatvermögen für die Kultur-
und die Zivilgesellschaft eingesetzt hat. Solche Leute verdienen eigentlich, einen Orden des
Präsidenten zu erhalten. Denen sollte man Denkmäler bauen und Schulen nach ihnen
benennen", erklärte Regula Venske, Präsidentin PEN Deutschland, in ARD.
Im Dezember verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die
Untersuchungshaft für Kavala scharf und forderte seine sofortige Freilassung. Obwohl dies
für die Türkei als Mitglied des Europarats bindend ist, lehnten die Behörden Kavalas
Freilassung bis heute ab. Bei den 15 Mitangeklagten handelte es sich Akademiker,
Architekten und Schauspieler, die mittlerweile auf freiem Fuß sind.
Die Gezi-Proteste hatten sich ursprünglich gegen die Bebauung eines Parks in der Nähe des
Taksim-Platzes in Istanbul gerichtet. Sie entwickelten sich zu landesweiten Demonstrationen
gegen die autoritäre Politik des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Präsidenten
Recep Tayyip Erdoğan.
Kavala wurde unter anderem beschuldigt, die Proteste mit ausländischer Hilfe finanziert zu
haben. Das EMGR hatte in seiner Entscheidung am 10. Dezember festgestellt, dass dafür
keinerlei Beweise vorgelegt worden seien, die Inhaftierung vielmehr der Einschüchterung
diene.
Das Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen in Deutschland hatte auch die
Bundeskanzlerin Merkel aufgefordert, sich direkt beim Präsidenten Erdoğan gemäß dem
EGMR-Urteil für die sofortige und bedingungslose Freilassung von Osman Kavala
einzusetzen. Ebenso fordert das Bündnis die Freilassung des Schriftstellers Ahmet Altan
und des Politikers und Autors Selahattin Demirtaş, die trotz Proteste internationaler
Juristen-Organisationen immer noch festgehalten werden. Die deutsche Bundesregierung
sollte sich auf allen Ebenen für die Freilassung aller politischen Gefangenen einsetzen und
auf die Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten in der Türkei drängen.
Osman Kavala hat sein Leben der Förderung von Zivilgesellschaft und Kultur in der Türkei
gewidmet. In den vergangenen 30 Jahren hat er zahlreiche unabhängige
Menschenrechtsorganisationen unterstützt und eine Reihe von zivilgesellschaftlichen
Organisationen und Verlagen mitgegründet, unter anderem die Helsinki Citizens’ Assembly
(jetzt genannt Citizens’ Assembly) zur Förderung der Menschenrechte, Anadolu Kültür - eine
der größten Kulturstiftungen des Landes zur Förderung der kulturellen Verständigung in der
Türkei - und den İletişim Verlag, der Literatur und Sachbücher veröffentlicht, die sich häufig
mit den Tabuthemen der türkischen Gesellschaft auseinandersetzen.
Der Fall von Kavala und seinen Mitangeklagten ist nur ein Beispiel für das harte Vorgehen
der türkischen Regierung gegen ihre Kritiker: Während des immer noch geltenden
Ausnahmezustands seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 wurden etwa 1.500
Organisationen und Stiftungen geschlossen. Friedliche Proteste werden unterdrückt, wer
sich kritisch über die Regierung äußert, muss damit rechnen, festgenommen zu werden;
aktuell sitzen mehr als 130 Medienschaffende im Gefängnis. Seit Juli 2016 wurde knapp
130.000 Beschäftigten des öffentlichen Dienstes wegen angeblicher "Verbindungen zu
terroristischen Vereinigungen" gekündigt.
Köln, 18. Februar 2020