Zahlreiche Menschenrechtsverteidiger, die aus ihrem Wesen heraus ihr Recht in Anspruch genommen haben beispielsweise das Recht aus Meinung- und Organisationsfreiheit zu verteidigen, sitzen in Folge ungerechtfertigter Anklagen und der Haftbefehle, die im Rahmen solcher Verfahren erlassen wurden, in den Gefängnissen und sind nicht in der Lage sich gegen den Corona-Virus zu schützen. Während viele ihrer Grundrechte bereits verletzt wurden, ist in Folge der Pandemie nunmehr auch ihr Recht auf Leben gefährdet. Dass es Häftlinge gibt, die in Folge des Korona-Virus ihr Leben verloren haben, unterstreicht diese Gefahr und verstärkt die Befürchtung, dass die Prozesse, bei denen die Betroffenen weiterhin inhaftiert sind, zu Menschenrechtsverletzungen führen werden, deren Wiedergutmachung unmöglich ist. Und das, obwohl die Verfassung und internationale Abkommen den Staat dazu verpflichten, das Recht auf Leben und Gesundheit zu schützen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied am 10. Dezember 2019, dass die Rechte von Osman Kavala, der seit November 2017 in Untersuchungshaft sitzt, auf Freiheit und Sicherheit verletzten worden seien und urteilte, dass er freigelassen werden müsse. Nachdem er am 18. Februar 2020 freigesprochen und seine Freilassung angeordnet worden ist, wurde Kavala erneut festgenommen und inhaftiert, am 9. März 2020 wurde ein erneuter Haftbefehl erlassen, so dass innerhalb dieser 900 Tage, an denen er nicht einen einzigen Tag frei war, drei Haftbefehle gegen ihn erlassen wurden. Es gibt gegen Kavala keinen Strafbeschluss und im Hinblick auf seine letzte Inhaftierung gibt es noch nicht einmal eine Anklageschrift. So werden er und viele andere Menschrechtsverteidiger unter Missachtung der Unschuldsvermutung in den Gefängnissen festgehalten.
Die Inhaftierung von Personen, die in der Strafprozessordnung als „Schutzmaßnahme“ im Ausnahmefall vorgesehen ist, gefährdet unter den Bedingungen der gegebenen Pandemie das Leben der Menschenrechtsverteidiger. Unter diesen Bedingungen ist es notwendig, jene juristischen Mechanismen in Gang zu setzen, die zur Freilassung der verurteilten Menschenrechtsverteidiger führen. Die Gerichte, die im Rahmen der Ermittlungs- und Verfolgungsmaßnahmen die Inhaftierung als „vorsorgliche Maßnahme“ praktizieren, müssen vor allem im Hinblick darauf Leben zu schützen, die Freilassung der Betroffenen anordnen und somit dieses Recht sichern.
Für Osman Kavala, der auf Grund seines Alters zur Risikogruppe gehört und auf Grund völlig unhaltbarer Vorwürfe im Gefängnis einsitzt, fordern wir am 900. Tag seiner Haft, dass er und die anderen Menschrechtsverteidiger umgehend frei gelassen werden, ohne dass ihr Recht auf Leben verletzt wird.
Solidaritätsnetzwerk der Menschenrechtsverteidiger