Appell an die Bundeskanzlerin:
Humane Lösung für Flüchtlinge - Freiheit für politische Gefangene in der Türkei
Während Präsident Erdoğan mit seiner skandalösen Instrumentalisierung von Tausenden
von Flüchtlingen an der türkisch-griechischen Grenze die EU weiterhin unter Druck setzt und
erklärt, „diese Menschen sind eine Waffe“, versucht die türkische Justiz die innenpolitische
Opposition gänzlich zum Schweigen zu bringen.
Allein im Laufe der letzten Woche wurden erneut sechs Journalisten festgenommen, denen
Geheimnisverrat vorgeworfen wird. Gegen den ehemaligen Bürgermeister von Diyarbakır A.
Selçuk Mızraklı wurde eine Freiheitsstrafe von neun Jahren verhängt und gegen den
Kulturvermittler Osman Kavala, der seit Oktober 2018 im Hochsicherheitstrakt in Silivri
festgehalten wird, bereits der dritte Haftbefehl erlassen. Der neue Vorwurf: politische und
militärische Spionage.
Nachdem Osman Kavala und einige seiner Mitangeklagten am 18.02.2020 durch die 30.
Große Strafkammer in Istanbul vom Vorwurf des Versuchs die Regierung zu stürzen
freigesprochen wurden, hatte die Staatsanwaltschaft bereits wenige Stunden später einen
neuen Haftbefehl gegen Kavala erlassen, bei dem ihm die Unterstützung des
Putschversuchs vom Juli 2016 vorgeworfen wurde. Unmittelbar hierauf erklärte am
19.02.2020 Staatspräsident und Vorsitzender der AKP Erdoğan auf einer Fraktionssitzung
seiner Partei, dass es bei den „Gezi-Aufständen im Hintergrund Typen wie Soros“ gegeben
habe, bekanntlich sei „dessen Türkei-Vertreter“ ja inhaftiert gewesen und man habe gerade
versucht, diesen durch ein Manöver freisprechen zu lassen. Für den Staat und die Nation
werde jedoch die Inhaftierung Bestand haben.
Wie sehr die türkische Justiz ihre Unabhängigkeit verloren hat und durch Anweisungen
geführt und gelenkt wird, ist nicht erst jetzt offensichtlich geworden. Schon zuvor wurden
Ahmet Altan und Selahattin Demirtaş durch die Gerichte zwar freigesprochen, aber ihre
Freilassung durch neue, ebenso konstruierte Haftbefehle verhindert. Erdoğan hatte in der
Vergangenheit bereits im Hinblick auf für ihn unliebsame Entscheidung des
Verfassungsgerichts der Türkei oder auch des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte mehrfach erklärt, solche Urteile seien für ihn null und nichtig.
Im Dezember verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) auch
die Untersuchungshaft für Kavala scharf und forderte seine sofortige Freilassung. Obwohl
dies für die Türkei als Mitglied des Europarats bindend ist, lehnen die Behörden Kavalas
Freilassung bis heute ab. Hierzu sollen auch die neuen Haftbefehle dienen, die durch eine
jeweils neu angeordnete zweijährige Untersuchungshaft den Spruch des EGMR aushebeln
sollen.
Sitzt seit mehr als zwei Jahren in U-Haft: Osman Kavala - Foto: Anadolu Kültür
Ahmet Altan, Selahattin Demirtaş und Osman Kavala stehen für alle politischen
Gefangenen in der Türkei, die lediglich auf Grund ihres Eintretens als Schriftsteller und
Journalisten, als Rechtsanwälte, Politiker und Kulturvermittler für freiheitliche und
demokratische Werte seitens des AKP-Regime als Gefahr für deren Herrschaft empfunden
werden. Noch heute sitzen nach Angaben des Vereins Zeitgenössischer Journalisten der
Türkei über 130 Medienschaffende in Haft. Seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli
2016 wurden etwa 1.500 Organisationen und Stiftungen geschlossen. Friedliche Proteste
werden unterdrückt, wer sich kritisch über die Regierung äußert, muss damit rechnen,
festgenommen zu werden. Im gleichen Zeitraum wurden knapp 130.000 Beschäftigten des
öffentlichen Dienstes wegen angeblicher "Verbindungen zu terroristischen Vereinigungen"
suspendiert bzw. gekündigt.
Amnesty International Deutschland, die Akademie der Künste, der Börsenverein des
Deutschen Buchhandels, die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union dju in
ver.di, das KulturForum TürkeiDeutschland, das PEN-Zentrum Deutschland und
Reporter ohne Grenzen Deutschland hatten bereits mehrfach die Freilassung von Osman
Kavala und anderer aus politischen Gründen Inhaftierter gefordert und auch an die Bundesregierung appelliert, sich bei bilateralen Verhandlungen entsprechend für diese Menschen einzusetzen.
Wir fordern Bundeskanzlerin Merkel erneut auf, sich bei ihren bevorstehenden Gesprächen
mit Präsident Erdoğan mit Nachdruck für die sofortige und bedingungslose Freilassung von
Ahmet Altan, Selahattin Demirtaş und Osman Kavala einzusetzen.
Die deutsche Bundesregierung muss sich, ebenso wie die Europäische Union, auf allen
Ebenen für eine humane Lösung des Flüchtlingselends und für die Freilassung aller
politischen Gefangenen einsetzen und auf die Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und
Menschenrechten in der Türkei drängen.
Köln, den 11. März 2020
KulturForum TürkeiDeutschland
Der Vorstand